Text Klaus Rathje, Volker Gustedt — Fotos NKT, Fabian Jahoda
In einem Werk in Köln entstehen die Gleichstromkabel für den SuedOstLink, die von 50Hertz und TenneT geplante Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung (HGÜ) zwischen den Umspannwerken Wolmirstedt bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt und Isar bei Landshut in Bayern. Das Traditionsunternehmen NKT produziert die Hochleistungs-Erdkabel für den nördlichen Teil der Trasse im Auftrag von 50Hertz und ist auch für die Logistik zuständig. Hier muss bei Produktion und Transport im wahrsten Sinne des Wortes alles wie am Schnürchen laufen – und zwar Tag und Nacht.
Die sechs Begleitfahrzeuge stehen fertig aufgereiht vor dem Tor der Fabrik im Chempark Leverkusen. Auf dem riesigen Industriegelände sind 70 Unternehmen ansässig, darunter Weltmarken wie Bayer und Linde. Und eben auch NKT, einer der größten Stromkabelhersteller der Welt. Es ist kurz vor 22 Uhr, die Fahrer stehen vor ihren Fahrzeugen, sprechen sich noch ab und stellen die Warnsignale ein, die sich auf den Dächern ihrer Begleitfahrzeuge befinden. Vom Werksgelände aus nähert sich der zwölfachsige Tieflader mit der wertvollen Fracht, die das Rückgrat für die Energiewende in Deutschland bilden soll.
Schwerlast auf Achse
Nahezu 100 Tonnen wiegt die beladene Spule, die heute Nacht das Werk verlässt. Das entspricht zwei Kilometern Kabel für den SuedOstLink. Das Werk von NKT ist 2010 gebaut worden und momentan voll ausgelastet, denn der Markt boomt. NKT liefert in Deutschland nicht nur Kabel für den SuedOstLink, sondern auch für das Gemeinschaftsprojekt von TenneT und TransnetBW, den weiter westlich gelegenen SuedLink. Außerdem ist das Unternehmen ein Spezialist für die Netzverbindungen zwischen Offshore-Windparks und dem Land. Die dafür notwendigen Seekabel entstehen hauptsächlich im schwedischen Werk in Karlskrona. Eine Milliarde Euro investiert NKT gerade in dieses „Offshore-Kompetenzzentrum“, denn der Bedarf an Hochleistungskabeln für neue Windparks auf See wird in den kommenden Jahren stark steigen.
Neuer Standard: 2 Gigawatt
Hier in Köln betreibt NKT das Gegenstück, also das „Onshore-Kompetenzzentrum“ für HGÜ-Erdkabel. Zukünftig, so haben es die deutschen Übertragungsnetzbetreiber untereinander und auch mit ihren europäischen Nachbarn vereinbart, soll es bei solchen Kabeln auf See und an Land nur noch den 2-GW-Standard geben, mit der Spannungsebene 525.000 Volt. Damit die Elektronen mit so hoher Spannung störungsfrei durch die Kabel fließen können, waren umfassende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und eine aufwendige Präqualifikationsphase erforderlich – bei NKT und den wenigen Mitbewerbern, die es auf dem Weltmarkt gibt.
Der Hauptsitz von NKT befindet sich im dänischen Brøndby, einem Vorort von Kopenhagen. NKT steht für Nordiske Kabel og Traadfabriker, also Nordische Kabel- und Drahtwerke. Die Firmenhistorie von NKT reicht zurück ins Jahr 1891, als das Unternehmen neben Strom- auch Telefonkabel hergestellt hat. Inzwischen unterhält NKT Standorte in 14 Ländern und gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Kabeltechnologie, die für die globale Transformation zu Erneuerbaren Energien ein unverzichtbarer Baustein ist.
Lange Historie
Die Kabelfabrik in Köln allerdings gehörte früher zum Familienunternehmen Felten & Guilleaume (F & G) und weist sogar eine Geschichte auf, die bis ins Mittelalter und zur Produktion von Hanfseilen für Bergbau und Schifffahrt zurückreicht. Das Familienunternehmen war während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert weltweit führend in der Herstellung von Drahtseilen und Kabeln, erst seit 1999 gehört F & G zur NKT-Gruppe.
Fehlertoleranz: Null!
Für den SuedOstLink und den südlichen Teil des Projektes SOL+ liefert NKT rund 1.000 Kilometer Erdkabel, die nach Baubeginn durch Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen verlegt werden. Jeder Kilometer Kabel stammt aus dem Kölner Werk, in dem dafür die entsprechenden Produktionskapazitäten freigehalten wurden. Technisch ist bei NKT Christopher Freimann als Project Lead Engineer zuständig. „Wir müssen eine sehr hohe Qualität sehr stabil halten“, bringt er die zentrale Herausforderung auf den Punkt. Mit anderen Worten: Auf der gesamten Kabellänge darf sich nirgendwo ein Fehler oder eine Ungleichmäßigkeit einschleichen. Das könnte im Betrieb unter Höchstspannung erhebliche technische und auch wirtschaftliche Probleme zur Folge haben.“
Für das Kernstück des Kabels sind große Mengen Kupfer nötig. Normale Lkw liefern die Kupferdrahtspulen an. Sie wiegen rund 15 Tonnen und haben einen Durchmesser von zwei Metern. „Beim Querschnitt der Profildrähte gibt es eine maximale Toleranz von 0,1 Millimetern“, erklärt der Ingenieur. Doch nicht nur der stromführende Leiter muss höchsten Ansprüchen genügen, das gilt insbesondere für die ihn umgebende Isolierung. Diese besteht aus vernetztem Polyethylen (VPE), einem speziell für solche Kabel entwickelten, sehr stabilen Kunststoff. „Ein extrem wichtiges Qualitätsmerkmal ist die Reinheit dieser Isolierschicht“, betont Ingenieur Freimann. Und er erläutert: „Die Qualität in der Herstellung beider Komponenten, des stromführenden Leiters und der Isolierung, gewährleistet dabei eine sichere und unterbrechungsfreie Übertragung. Wir wollen hohe Leistungen mit den Kabeln transportieren. Um hohe Leistungen zu erzielen, wird eine hohe Spannung gewählt. Durch die höhere Spannung wird eine größere Isolierwandstärke benötigt und eingesetzt.“
„Wir müssen
eine sehr hohe
Qualität sehr
stabil halten.“
Christopher Freimann,
Project Lead Engineer bei NKT
Das Erfolgsrezept: Druck und Hitze
Um die Profildrähte aus Kupfer mit der Isolierschicht zu verbinden, wird das sogenannte Extrusionsverfahren angewendet. Dabei wird die Kunststoffmasse gleichmäßig durch eine formgebende Öffnung gepresst. „Wir haben es bei Hochspannungskabeln mit kontinuierlichen Heißprozessen zu tun“, erläutert Christopher Freimann. Dafür stehen im Kölner Werk drei Extrusionsanlagen zur Verfügung, die jeweils mehrere Hundert Meter lang sind. In diesen Anlagen wird die Dreifachisolierung der Kabel unter Druck und Hitze auf die 2.000 Meter langen Leiter aufgebracht. Dieser Fertigungsprozess für mehrere Längen läuft über 10 Tage ununterbrochen, wobei während der 10 Tage mehrere 2.000 Meter Leiter isoliert werden. „Man kann diesen Warmprozess nicht unterbrechen“, sagt Freimann. „Hier darf also nichts schiefgehen, denn wir können im laufenden Prozess nicht mehr nachsteuern.“
Die Fertigung der Kabel durchläuft viele einzelne Anlagen, die mit den zwei Kilometer langen Kabelstücken umgehen müssen. Dafür stehen Kabelwege mit Drehtellern und Spulen in der Fabrikhalle zur Verfügung. Für die einzelnen Prozessschritte müssen die Kabel immer wieder auf- und abgewickelt werden. Da diese Schritte nicht immer direkt aufeinander folgen, müssen die Spulen manchmal zwischengelagert werden. Um nicht den Überblick zu verlieren, sind sie von lila bis blau unterschiedlich farbig markiert.
Nach dem Aufbringen der Isolierung folgt die Entgasung („Tempern“). Dadurch werden die inneren Spannungen des Kunststoffmaterials reduziert, die durch das Extrusionsverfahren entstehen. Allein dieser Prozessschritt dauert mehrere Wochen. Außerdem müssen noch verschiedene Schutzschichten aufgebracht werden, um das Kabel vor Wasser zu schützen und so stabil zu machen, dass es bestimmten mechanischen Einwirkungen und dem Druck der Erde standhält. Am Ende des Produktionsprozesses hat das Gleichstromkabel einen Durchmesser von etwa 14 Zentimetern.
Von der Produktion zum Transport
Der Produktion folgt der Transport der Kabelspulen an ihren Bestimmungsort. Auf dem Hof von NKT steht ein „SEFIRO“ bereit, die Abkürzung für „Selbstfahrender Industrieroller“. Dieses kleine, sehr flache achtachsige Gefährt lässt sich bequem fernsteuern. Über seine Allradlenkung ist es extrem wendig und bei 38 Tonnen Achslast hält so ein SEFIRO eine Menge aus. „Meine Verantwortung beginnt, wenn die Kabel auf dem Hof stehen“, erklärt Christoph Eising, Projekt Logistik Manager für die Korridorprojekte bei NKT. Er hat eigentlich ganz normale Arbeitszeiten tagsüber, aber die Folgen seiner Arbeit schlagen sich in den Nachtstunden nieder – die Transporte der Kabelspulen dürfen nur zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens stattfinden. „Wenn es gut läuft, schaffe ich es, auch mal nachts mein Handy wegzulegen“, bekennt der erfahrene Logistiker. Und er ergänzt: „Wir haben keine eigene Lkw-Flotte, den Transport selbst vergeben wir also an Dienstleister. Da ist dann oft die Frage, ob sie eventuell auftretende Probleme beim Transport selbst lösen können. Wenn nicht, dann klingelt es bei mir in der Nacht.“
Komplexe Logistikkette
Die erste Station ist der Binnenhafen in Wesel. Um ihn von Köln aus zu erreichen, müssen die Schwerlaster auf bestimmten Routen 120 Kilometer zurücklegen. Jede Nacht sollten hier ein bis zwei Spulen eintreffen. „Zumindest theoretisch“, ergänzt der Logistiker. Die zeitliche Begrenzung von 22 bis 6 Uhr ist allerdings eine „ganz harte Genehmigungsauflage“.
In der Praxis könne es passieren, dass die Lkw-Fahrer fünf Minuten vor dem Ziel den Motor abschalten müssen, falls die Fahrt länger als geplant dauerte. Dann müsse der Lkw einen Tag warten, bis er seine Fahrt abends fortsetzen darf – für die letzten Meter.
In Wesel selbst ist es etwas entspannter, von hier aus wird nicht jede Kabelspule einzeln transportiert, sondern bis zu 18 Spulen insgesamt auf einem Binnenschiff. „Es dauert also bis zu drei Wochen, bis die erste Transportmenge für den Transport auf dem Wasserweg konsolidiert ist“, rechnet Christoph Eising vor. Größtenteils über den Mittellandkanal erreichen die Spulen den Magdeburger Hafen. Sie haben jetzt weitere 470 Kilometer in sechs Tagen zurückgelegt. „Da die ganze Logistikkette so komplex ist, haben wir eine Zwischenlagerlösung entwickelt. Eine direkte Belieferung vom Werk zur Baustelle wäre illusorisch. Deswegen gibt es Puffer durch Zwischenlager.“ Im Fachjargon heißt dies „Intermediate Storage Area“ (ISA), eines davon befindet sich gleich im Magdeburger Hafen. „Diese ISA sind so ausgelegt, dass sie das gesamte Kabelvolumen des Projekts aufnehmen können“, betont Christoph Eising.
„Die 180 Tonnen Maximalgesamtgewicht, die wir haben, sind in der Schwerlastwelt nichts Außergewöhnliches. Das Besondere bei uns ist eher die große Menge an einzelnen Transporten auf den einzelnen Abschnitten.“
Christoph Eising,
Projekt Logistik Manager für die Korridorprojekte bei NKT
50
kg wiegt ein
Meter Kabel
30
Binnenschiffe voller
Kabeltrommeln sind
erforderlich
14
cm ist ein Gleich-
stromkabel dick
Straßenballett der Schwertransporter
Zurück in Köln, wo jetzt die Nachtschicht für die Lkw-Fahrer und den Begleittross beginnt. Alle Fahrzeuge haben ihre gelben Blinklichter eingeschaltet und starten eine Art Straßenballett: Jeweils zwei Fahrzeuge sperren nun einen Fahrstreifen und die beiden übrigen fahren vor und hinter dem Schwerlast-Lkw, der eine 100-Tonnen-Spule trägt. Kaum befindet sich der Lkw auf seiner Fahrbahn, reihen sich die anderen Begleitfahrzeuge wieder ein und verlassen in der Kolonne den Industriepark in Richtung Wesel. Ganz so unspektakulär wie ein Einkauf im Baumarkt ist es doch nicht, wenn ein zwölfachsiger Lkw mit fast 40 Metern Länge ein Kabel über nächtliche Straßen transportiert.