Text Volker Gustedt — Fotos Jan Pauls
Seit 2020 verbindet die Hochspannungs-Gleichstromverbindung ALEGrO Deutschland und Belgien. Das Erdkabel schafft Versorgungssicherheit und stärkt das europäische Stromverbundnetz.
Wer an Verkehrswege zwischen Aachen und Lüttich im Dreiländereck Deutschland – Belgien – Niederlande denkt, dem fallen vielleicht die Autobahn E 40 oder der Schnellzug Thalys ein. Weitgehend unsichtbar verläuft dagegen eine weitere Hochgeschwindigkeitsstrecke, über die weder Autos noch Eisenbahnen über die Landesgrenze flitzen. Dafür Elektronen. Und zwar zwischen den Umspannwerken Oberzier östlich von Aachen und Lixhe bei Lüttich.
Grenzüberschreitender Stromtransport
Aachen-Liege-Electricity Grid Overlay, kurz ALEGrO, heißt die grenzüberschreitende Stromleitung, im Fachjargon als Interkonnektor bezeichnet. Der Hochgeschwindigkeitsexpress für Strom besteht aus zwei mit Polyethylen ummantelten Kupferkabeln mit einem Durchmesser von jeweils 12 Zentimetern. Dieser Kabelstrang, unter 320 Kilovolt Höchstspannung stehend, schlängelt sich 90 Kilometer vorwiegend entlang von Autobahnen, Bahnschienen, Flüssen und Kanälen in einer Tiefe von knapp zwei Metern durch eine dicht besiedelte Region und spielt seit fast drei Jahren eine wichtige Rolle im grenzüberschreitenden Stromaustausch. In den Umspannwerken Lixhe und Oberzier baute Siemens Energy jeweils eine Konverteranlage, um Wechsel- in Gleichstrom umzuwandeln, damit er durch die Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) fließen kann. Diese Anlagen sind vollgestopft mit Hochleistungselektronik und so groß wie mehrere Sporthallen.
Empfindliches Ökosystem
Die Notwendigkeit für die leistungsstarke Stromverbindung ALEGrO wurde schon vor über zehn Jahren erkannt. Nach einer intensiven Planungs- und Genehmigungsphase, in der die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner ebenso wie der Schutz der Natur berücksichtigt wurden, starteten Elia auf belgischer und Amprion auf deutscher Seite 2018 mit dem Bau des anspruchsvollen Projektes. Um Flüsse, Autobahnkreuze oder Wohnsiedlungen zu unterqueren, mussten vier Mikrotunnel mit mehreren Kilometern Gesamtlänge in bis zu 30 Meter Tiefe gebohrt werden. Darin wurden anschließend die Kabel verlegt. Aufwendige Voruntersuchungen des Geländes waren erforderlich, damit in dieser geschichtsträchtigen Grenzregion durch die Erdarbeiten keine archäologischen Schätze versehentlich zerstört werden. Auch auf das empfindliche Ökosystem von Natura-2000-Zonen war Rücksicht zu nehmen.
Blick in die Konverterhalle von Elia bei Lüttich. Hier werden Gleich- und Wechselstrom gewandelt.
Europäische Erfolgsgeschichte
Heute ist ALEGrO fast drei Jahre in Betrieb und eine europäische Erfolgsgeschichte. Die HGÜ hat eine Leistung von über einem Gigawatt (GW) – das entspricht etwa sieben Prozent der durchschnittlichen Stromlast Belgiens. „Dieses System erhöht die Versorgungssicherheit in Belgien und Deutschland, indem es Zugang zu zusätzlichen Erzeugungskapazitäten verschafft, die ohne diesen Interkonnektor in Mangelsituationen nicht nutzbar wären“, erläutert Markus Berger, Chief Infrastructure Officer (CIO) von Elia Belgien. „Außerdem hilft ALEGrO dabei, Strom aus volatilen Erneuerbaren Energien effizienter in das europäische Stromverbundnetz zu integrieren.“ Darüber hinaus haben die Konverter in Lixhe und Oberzier noch weitere nützliche Funktionen. Die Kondensatoren in ihrem Inneren können auf Schwankungen der Spannung im Wechselstromnetz in weniger als einer Tausendstelsekunde reagieren und dieses austarieren. So trägt ALEGrO auch dann zur Stabilität des Stromnetzes bei, wenn immer mehr konventionelle Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen aus dem Gesamtsystem ausscheiden. Seit der Inbetriebnahme werden über ALEGrO rund fünf Terawattstunden Strom pro Jahr gehandelt. Mehr nach Westen als umgekehrt. Im vergangenen Jahr floss der Strom an rund 240 Tagen im Jahr von Deutschland Richtung Belgien.
Zweiter Interkonnektor in Planung
Weil der innereuropäische Stromtransport mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien an Land und auf See weiter wächst, haben Elia und Amprion ein Nachfolgeprojekt vereinbart und wollen gemeinsam einen zweiten deutsch-belgischen Interkonnektor bauen. Eine Bestätigung im deutschen Netzentwicklungsplan Strom 2035 (2021) liegt bereits vor, jetzt geht es um die Detailplanung. Die Inbetriebnahme könnte in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre erfolgen.