Text Lena Schnabl  Fotos Kathrin Heller, Tobias Exner Video Tavan – stock.adobe.com

Eine Brandenburger Erfolgsgeschichte: Wie aus einer kleinen DDR-Backstube ein innovativer und florierender Handwerksbetrieb wurde

Wer an Beelitz denkt, denkt an Spargel. Das lange Gemüse, das 1861 zum ersten Mal in der Umgebung angebaut wurde, ist das Markenzeichen der wachsenden Brandenburger Kleinstadt. Doch neuerdings entwickeln sich auch Brot und Brötchen zum Exportschlager „Made in Beelitz“. Und das liegt an einem umtriebigen Handwerker und Unternehmer: Tobias Exner, 49 Jahre, Inhaber der „Brandenburger Genussbäckerei“, mit über 300 Mitarbeitenden an knapp 40 Standorten inzwischen einer der größten Arbeitgeber der Region.

Die Geschichte der Bäckerei ist eine Geschichte, in der Leidenschaft, Ideenreichtum, Mut und auch eine gesunde Portion Selbstbewusstsein die tragende Rolle spielen. Und sie handelt davon, wie eine Familie den Umbruch von der Plan- in die Marktwirtschaft erfolgreich gemeistert hat. „Ich wollte schon immer Bäcker werden“, erinnert sich Tobias Exner, als wir ihn in seinem Café „Brot & Zeit“ in Beelitz-Heilstätten zum Gespräch treffen. Beelitz ist für ihn Heimat, hier ist er aufgewachsen, „quasi in der Backstube“ des Familienbetriebs. Der Vater pachtete 1976 eine kleine Bäckerei, 1980 kaufte er sie. Zur Straße hin lag das Wohngebäude mit Ladengeschäft, hintendran die Bäckerei. Exner packte früh mit an, mahlte als Zehnjähriger Semmelbrösel aus alten Brötchen. Seine ersten Ferienjobs waren das Reinigen der Bleche von Zucker und Fett, das Fegen des Hofs und Braunkohle in den Keller zu schaufeln. Das schön dampfende Brot, das sein Vater aus dem Ofen holte, bewunderte er.

„In der DDR hat ein Brötchen fünf Pfennig gekostet“, sagt er. „Brot fürs Volk“ lautete die staatliche Vorgabe. Alle Kalkulationen und Rezepturen mussten bei einem Amt eingereicht werden. Natürlich habe man nicht immer alle Rohstoffe bekommen. „Die haben dann gesagt: ‚Da steht Butter, aber wir haben nur Margarine. Und Äpfel haben wir auch nicht, nehmen Sie Apfelmus.’“ Aufgrund der Mangelwirtschaft habe der Vater kreativ sein müssen. 1976 1997 2021 mehr. Exner führt an Rollregalen voll Gärkörbchen vorbei, in denen später die täglichen fünf- bis zehntausend Brote ruhen werden, an einer Maschine, in der Kerne und Saaten geröstet werden, an den Fässern, in denen der Natursauerteig arbeitet („computergesteuert, damit es immer eine gleichbleibende Qualität hat“), an der Mühle, in der das Brotkorn vom Bauern alle paar Tage frisch gemahlen wird, und an den Knetmaschinen – auch sie sind computergesteuert. Als Exner 14 Jahre alt war, kam die Wiedervereinigung und alles änderte sich. „Wir mussten Kapitalismus lernen“, sagt er. „Wir mussten überlegen, welche Preise legen wir fest und in was investieren wir.“ Sie mussten nun neben Wettbewerberinnen und Wettbewerbern, die aus Berlin und aus dem Westen in die Stadt kamen, bestehen. Der Konkurrent war nicht mehr die Konsum-Kaufhalle mit ihren leergefegten Regalen, sondern hieß jetzt Kamps & Co. mit einer Fülle von Produkten wie aus dem Schlaraffenland.

Handwerker und Unternehmer mit Leidenschaft: Tobias Exner hat von seinem Vater die Bäckerei in Beelitz übernommen. Aus dem kleinen Familienbetrieb machte er ein florierendes Unternehmen mit zahlreichen Filialen in der Region
Mehr als Verkauf: Am Stammsitz in Beelitz lädt das Café „Brot & Zeit“ zum Verweilen und Genießen ein. Dort gibt es auch Spezialitäten wie Brot Dry Gin, der in Kooperation mit einer Beelitzer Spirituosen-Manufaktur hergestellt wird

Mit 20 Jahren Verantwortung für eine Bäckerei

Exner begriff das als Chance. Er verließ Beelitz und lernte das Backhandwerk woanders – zunächst in einem Betrieb in der Nähe von Hannover, später in Göttingen. Die Bäckereien seien groß und modern gewesen. „Ich wollte danach eigentlich noch nach Österreich oder in die Schweiz, aber mein Vater ist krank geworden und musste mit 45 Jahren aus der Bäckerei raus“, erzählt Tobias Exner. Mehlallergie, die typische Berufskrankheit der Bäckerinnen und Bäcker. Mit gerade einmal 20 Jahren leitete Exner jetzt eine eigene Bäckerei, musste das übernehmen, was sein Vater aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr konnte. „Das war schwierig und ich habe auch viele Fehler gemacht.

Damals wollten sie an die Bäckerei anbauen, da sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit gewesen sei, doch der Bank gefiel das Konzept nicht und sie erhielten dafür keinen Kredit. „Rückblickend war das super“, sagt Exner. „Da wären wir sehr limitiert gewesen.“ Also bauten sie im Gewerbegebiet von Beelitz, dem heutigen Standort. 2008 übernahm der Junior dann auch ganz offiziell den väterlichen Betrieb.

Vor dem Eingang in die Backstube zieht Exner eine Haube über die Haare und reinigt die Schuhsohlen. Er betritt die erste Halle, in der es ab neun Uhr morgens geschäftig wird. Die ersten Bäckerinnen und Bäcker machen den Teig, die nächsten pflegen ihn. In Wannen portioniert gart er. „Zeit bringt Geschmack“, sagt Exner. „Wir machen da keine Zaubermittel rein.“ Später formen die Bäckerinnen und Bäcker die Brote und Brötchen. Er deutet auf eine Brötchenmaschine, die die günstigen „Ossi-Brötchen“ herstellt. Andere Brötchen, wie „Das Beste“ aus Dinkel, werden hingegen handgeformt und kosten daher auch mehr. Exner führt an Rollregalen voll Gärkörbchen vorbei, in denen später die täglichen fünf- bis zehntausend Brote ruhen werden, an einer Maschine, in der Kerne und Saaten geröstet werden, an den Fässern, in denen der Natursauerteig arbeitet („computergesteuert, damit es immer eine gleichbleibende Qualität hat“), an der Mühle, in der das Brotkorn vom Bauern alle paar Tage frisch gemahlen wird, und an den Knetmaschinen – auch sie sind computergesteuert.

„Wir mussten Kapitalismus erst lernen“

Tobias Exner

1997

Aufbruch nach der Wende: 1997 vergrößerte und modernisierte sich die Bäckerei und zog ins Gewerbegebiet Beelitz. Ingo und Uschi Exner stehen mit der damaligen kompletten Belegschaft vor dem neuen Standort

1976

Ein Bäckermeister in der DDR: Ingo Exner (links) pachtete 1976 eine kleine Bäckerei in der Karl-Marx-Str. 12 in Beelitz, die er später kaufte. Sohn Tobias Exner (rechts) wuchs dort auf

2021

Die nächste Generation: Die Bäckerei Exner mit ihren inzwischen rund 300 Mitarbeitenden ist weiterhin ein Familienbetrieb, seit 2008 ist Tobias Exner der Inhaber. Ob eines seiner drei Kinder die Firma übernimmt, ist ungewiss. Sie gehen noch zur Schule – und wollen derzeit lieber Lehrerin bzw. Lehrer werden

Zwischen Innovation und Tradition

In einem kleinen verglasten Büroraum hängen Plakate für Brot-Gin, denn Exner lässt aus Altbrot mithilfe von regionalen Partnerinnen und Partnern Bier und Gin herstellen. „Ich bin sehr innovativ“, sagt er. „Leider muss ich mich oft bremsen.“ Er lacht. Mittlerweile steht er vor der Ofenfront. Wagenöfen – auch die erleichtern die Arbeit gegenüber dem händischen In-den-Ofen- Schieben. Die Brote werden direkt auf Steinplatten gebacken. „Auch wenn es modern aussieht, das ist Handwerk.“ Die Backkunst ist und bleibt Exners Leidenschaft. 2019 machte er eine Zusatzausbildung – zum „Brot-Sommelier“. Angelehnt an den Wein-Sommelier ist ein Brot-Sommelier ein Experte in Sachen Brot, der nicht nur alle Facetten der Herstellung kennt, sondern auch die perfekte Kombination zu anderen Lebensmitteln.

Exner betritt eine nächste Halle, die Konditorei. Mitarbeiterinnen streichen Kuchen in Formen, streuen Schokostreusel darauf. Ein weiterer Mitarbeiter arbeitet an einem anderen Tisch. „Unsere polnische Führungskraft“, sagt er. Im Betrieb arbeiten etwa 300 Menschen aus über 34 Nationen, sagt er, darunter Bosnier, Kirgisen, Vietnamesen, Italiener, Syrer, Afghanen, Marokkaner, Ukrainer und Russen. „Zuwanderung ist nicht nur eine Chance, sie ist ein Muss“, betont Exner, dazu seien aber die richtigen Rahmenbedingungen nötig. Natürlich gebe es auch Schwierigkeiten, etwa bei Sprache und Kultur. Die Beschilderung ist daher oft auf Deutsch, Englisch und Polnisch. Und mit der Zeit lerne man einen gemeinsamen Umgang. Seine zehn syrischen Mitarbeitenden arbeiten während des Ramadans beispielsweise nur die Vormittagsschichten, darauf nimmt der Betrieb Rücksicht. „Die kippen uns sonst um“, sagt Exner.

Mittlerweile steht Exner vor der Arbeitsstation, an der Berliner hergestellt werden. „Ich habe noch erlebt, wie man jeden einzelnen im heißen Fett mit Stäbchen umgedreht hat und deswegen Verbrennungen überall hatte.“ Auch das übernehmen heute Maschinen. „Aber jeder einzelne wird per Hand dekoriert.“ Hätte er den Anspruch, nichts von Maschinen erledigen zu lassen, würde er gar nicht ausreichend Mitarbeitende bekommen, sagt er. Trotz der modernen Maschinen und trotz Automatisierung ist für Exners Unternehmen die Personalfrage das größte Problem. Bäckerin bzw. Bäcker zu werden gehört nicht gerade zu den Traumjobs der Generation Z.

Backen bleibt Handarbeit: Maschinen nehmen in der Bäckerei Exner den Mitarbeitenden nur dann die Arbeit ab, wenn darunter nicht die Qualität leidet. Das Anwerben von Arbeits- und Fachkräften ist eine Herausforderung. Im Unternehmen Exner arbeiten heute Menschen aus 34 Nationen

Um Auszubildende und Mitarbeitende nach Beelitz zu locken, unternimmt das Unternehmen viele Anstrengungen: möblierte Wohnungen für Mitarbeitende zum Beispiel. So können sie direkt starten, am Ort bleiben, in Ruhe eine Wohnung suchen, bevor sie ihre Familie nachholen. Mitarbeitende erhalten zudem – je nach Qualifikation – übertarifliche Bezahlung, manche einen Dienstwagen und alle 50 Prozent Rabatt auf die Produkte.

Einige Mitarbeitende nehmen gerade im Besprechungsraum über der Backstube an einer Verkaufsschulung teil. Dort bildet sich heute auch Michelle Heß, 44, weiter, eine Quereinsteigerin. Vor sechs Jahren zog sie wegen der Liebe nach Beelitz. „Ich hab die Stellenausschreibung gesehen und gedacht, ich probier das mal.“ Während ihres Soziologie- und Philosophiestudiums hatte sie bereits im Verkauf gearbeitet. Sie habe alles im Betrieb gelernt und sich hochgearbeitet. Seit zwei Jahren ist sie die Café-Managerin von „Brot & Zeit“ in Beelitz-Heilstätten und steht dort sieben Mitarbeitenden, fünf Auszubildenden und etlichen Aushilfen vor. „Es ist eine ganz andere Hausnummer“, sagt sie. „Und wunderschön.“

Neben ihr sitzt Robert Reelitz, 25, der vor fünf Jahren ganz klassisch als Auszubildender im Unternehmen angefangen hat, ebenfalls im Verkauf. Auch er kam zufällig nach Beelitz. Er hatte nach seinem Abitur als Gerüstbauer gearbeitet – nicht gerade sein Traumberuf. So ergriff er die Chance, bei Exner eine Berufsausbildung zu starten. Inzwischen hat er sich hochgearbeitet, macht seinen Abschluss als Ausbilder. Er mag seinen Beruf und die Firma. Er schätze auch, dass er Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt kennenlernen könne. „Unsere Mentalitäten sind vielleicht verschieden, aber wir haben alle denselben Beruf und machen die gleichen Erfahrungen“, sagt Robert Reelitz. Michelle Heß fasst ihre Erfahrungen im Betrieb zusammen: „Wir sind hier wirklich eine große Familie.“

Abgesehen von den Rekrutierungsproblemen also rosige Aussichten in Beelitz? Nicht ganz. Insgesamt schaut der Firmenchef auch mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Er sorgt sich wegen steigender Energie- und Lohnkosten. Werden seine 36 Fachgeschäfte dauerhaft genug Gewinn abwerfen, um seine hohen Fixkosten zu decken? Exner beklagt eine Politik, die den Mittelstand vernachlässigt. Die Ampelkoalition in Berlin nervt ihn. Seinen Unmut durfte er auch kürzlich im Fernsehen äußern – als Stimme des Mittelstands bei Sandra Maischberger. Dass die Mehrwertsteuer für die Gastronomie trotz vorheriger Versprechen wieder angehoben wurde, bedeute auch für seine Filialen zusätzlichen Preisdruck.

Er wünscht sich mit Blick auf Investitionen mehr Plan- und Berechenbarkeit. Als Beispiel führt er neue Öfen in seiner Backstube an. Diese werden mit Erdgas beheizt. 1,4 Millionen Euro habe er 2022 in eine neue Anlage investiert. „Damit sich so eine Anschaffung betriebswirtschaftlich lohnt, müssen die Öfen 20 Jahre lang laufen“, rechnet Exner vor und schiebt seine Forderung hinterher: „Die Politik muss also dafür sorgen, dass ich auch noch 20 Jahre lang Gas bekomme.“ Sollte in Zukunft Strom einmal billiger sein als Erdgas, dann werde er bei der nächsten Investitionsentscheidung auch auf Elektro umsteigen. Einige Voraussetzungen dafür hat der Unternehmer bereits geschaffen. Auf dem Betriebsgebäude der Bäckerei Exner erzeugt eine Photovoltaikanlage Strom.

„Zuwanderung ist nicht nur eine Chance. Sie ist ein Muss“

Tobias Exner

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