Text Klaus Rathje — Fotos Infraleuna GmbH, Paul-Philipp Braun, Manfred Vogel — Video ©iStockphoto.com/ChayTee
Der Industriestandort Leuna hat eine über 100-jährige Tradition – hier wurde erstmals Methanol (CH3OH) im Hochdruckverfahren hergestellt. Heute sind im größten abgeschlossenen Chemiepark Deutschlands auf 13 Quadratkilometern Fläche über 100 Unternehmen angesiedelt, darunter bekannte und renommierte Firmen wie Linde, BASF oder TotalEnergies. Auch Start-ups, Forschungseinrichtungen und neu angesiedelte Unternehmen arbeiten daran, mit neuen Produkten die Welt ein Stück nachhaltiger zu machen.
Der Chemiepark Leuna erstreckt sich auf einer Größe von fast 2.000 Fußballfeldern. Demnächst soll das Gelände noch einmal um 300 Hektar erweitert werden, für Neuansiedlungen ist noch Platz.
Christian Vollmann, Gründer der C1 Green Chemicals AG, mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Bundesverkehrsminister Volker Wissing. „Im Bereich grünen Methanols sind wir die Einzigen, die nicht auf das alte Katalyse-Verfahren setzen“
Der Chemiepark liegt mitten in Sachsen-Anhalt, etwa 20 Kilometer südlich von Halle. Rund 12.000 Menschen arbeiten hier – das sind nur 2.000 weniger, als das Städtchen Leuna selbst Einwohner*innen hat. Dass hinter der Schranke am „Tor 1“ die Grundlagen für Produkte von morgen gedacht und gemacht werden, lässt sich nur erahnen. Tatsächlich hat sich Leuna seit der Wiedervereinigung zu einem hochinnovativen Chemiestandort entwickelt, an dem Menschen aus aller Welt Grundlagenforschung betreiben und wegweisende Projekte umsetzen.
Dr. Christof Günther, seit 2012 Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH, hat sein Büro in dem historischen Verwaltungsgebäude auf dem Gelände des Industrieparks. „Ostdeutschland hat in den 90er-Jahren viel Forschung und Entwicklung verloren. Jetzt haben wir einen gegenläufigen Trend. Wenn wir hier in Leuna die Zukunft mitgestalten wollen, dann sind Forschung und Entwicklung ganz entscheidend.“
Christof Günther, der in Thüringen aufgewachsen ist, kennt den Industriepark noch aus seiner Jugendzeit. „Da war der Name Leuna weniger positiv besetzt“, sagt er diplomatisch. Tatsächlich stand der Name Leuna stellvertretend für eine jahrzehntelange Umweltverschmutzung.
Dr. Christof Günther, Geschäftsführer InfraLeuna GmbH.
„Leuna steht heute für attraktive Arbeitsplätze und ist Garant für Wohlstand in der Region.“
Attraktive Arbeitsplätze, Garant für Wohlstand
All das ist Vergangenheit. „Im Zuge der Modernisierung des Standorts in den 90er-Jahren sind hier modernste Technologien in der Energieerzeugung, aber auch in der Abwasserbehandlung zum Einsatz gekommen“, erzählt Christof Günther.
„Die Belastung von Mensch und Umwelt ist kein Thema mehr. Leuna steht jetzt für attraktive Arbeitsplätze und ist Garant für den Wohlstand in der Region. Für biobasierte Verfahren, grünen Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft haben wir derzeit Investitionen von über zwei Milliarden Euro. Im Bereich grüner Chemie belegen wir innerhalb Deutschlands eine Spitzenposition, aber es gibt innerhalb von Europa auch keinen vergleichbaren Standort mit so einer Dynamik.“ Forschung und Produktion greifen hier Hand in Hand. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat in Leuna eine Technologieplattform für strombasierte Kraftstoffe aufgebaut. Damit soll unter anderem der Flugverkehr klimaneutral gemacht werden. Die Herstellung von „Sustainable Aviation Fuels“ (e-SAFs) will das DLR hier in industriellem Maßstab entwickeln.
Auch ein Großforschungszentrum soll helfen, die Chemieindustrie in Sachen Nachhaltigkeit vom Saulus zum Paulus zu machen. Die Region Leuna/Merseburg hat gerade den Zuschlag bekommen für die Ansiedlung des Zentrums zur Transformation der Chemieindustrie (Center for the Transformation of Chemistry, CTC). Das Ziel liegt in der Etablierung der Kreislaufwirtschaft. „Wir bekommen hochqualifizierte Fachkräfte aus der ganzen Welt“, betont Christof Günther. „Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie in Leuna an einer großen Sache arbeiten können, die die ganze Welt nachhaltiger machen wird.“
Vision einer CO2-armen Schifffahrt
Ein Beispiel ist die Schifffahrt. Containerschiffe nutzen zu 85 Prozent Schweröl als Treibstoff und produzieren damit 740 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das sind zwei Prozent der weltweit von Menschen verursachten CO2-Emissionen. Es lohnt sich also, hier anzusetzen, wenn der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden soll. Genau das möchte Christian Vollmann mit seinem Tech-Start-up C1 Green Chemicals. Die Mission von C1 liegt darin, grünes Methanol als marktfähige Treibstoffalternative zu entwickeln. Es muss also nicht nur nachhaltig, sondern auch preislich interessant sein.
Seit 2022 versucht C1, die Vision einer dekarbonisierten Schifffahrt wahr werden zu lassen. Nachdem Vollmanns Team in Berlin-Adlershof eine kleine Versuchsanlage konstruiert hat, folgt nun in einem zweiten Schritt eine Testanlage in größerem Maßstab. Das Start-up ist überzeugt davon, dass sein neuer Ansatz, grünes Methanol zu produzieren, am Ende effizienter sein wird als bisherige Verfahren, die auf ein Patent aus dem Jahr 1921 zurückgehen. „Wir sind dank Computersimulationen viel schneller und können die Innovationsgeschwindigkeit dramatisch steigern“, sagt Christian Vollmann. „Im Bereich grünen Methanols sind wir die Einzigen, die nicht auf das alte Katalyse-Verfahren setzen, sondern ein völlig neues Verfahren erfunden haben. Wir haben bewiesen, dass dies nicht nur im Labor funktioniert. In Leuna wollen wir zeigen, dass sich unser Verfahren mit frei verfügbaren Industriekomponenten realisieren lässt.“
„Leuna100“ heißt das Pilotprojekt, das mit grünem Wasserstoff und einer CO2-Quelle vor Ort gespeist wird, bereitgestellt vom Hydrogen Lab Leuna, einer Forschungseinrichtung vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES. Der Name bezieht sich auf die Historie, denn 1923 hat BASF an genau der Stelle, wo jetzt das Hydrogen Lab steht, die erste Methanolanlage gebaut. Die Testanlage von C1 befindet sich passenderweise in einem Container, wie er auch in der Frachtschifffahrt zum Einsatz kommt. „Wir wollen wasserstoffbasierte Projekte wie Leuna100 im Markthochlauf unterstützen mit dem Ziel, sie wirtschaftlicher und effizienter zu machen“, sagt Dr. Johannes Höflinger, der für das Hydrogen Lab Leuna verantwortlich ist. „Die Herausforderung bei solchen Projekten liegt darin, dass sie einem dynamischen Betrieb standhalten müssen, so dass sie mit Erneuerbaren Energien laufen können.“
Das Hydrogen Lab liefert eine Plattform für mehrere Pilotprojekte, die grünen Wasserstoff benötigen und immer wieder einen neuen Testlauf starten, um die Technologie zu optimieren. Fraunhofer stellt dafür eine zentrale Infrastruktur bereit, die mehrere Partnerinnen und Partner nutzen können, so dass es für jedes einzelne Projekt günstiger wird. Wann das erste Containerschiff mit industriell hergestelltem grünen Ethanol fahren wird, lässt sich noch nicht sagen. Aber immerhin ist mit der A.P. Moller-Maersk Group die lange Jahre größte Containerschiff-Reederei der Welt bei C1 als Investorin eingestiegen.
Dr. Michael Duetsch, Vice President UPM Biochemicals.
„Wir zeigen in der chemischen Industrie, was möglich ist in Sachen Nachhaltigkeit“
Dr. Johannes Höflinger, Gruppenleiter Hydrogen Lab Leuna beim Fraunhofer IWES.
„Wir wollen wasserstoffbasierte Projekte im Markthochlauf unterstützen.“
Ersatz für Kohle, Gas und Erdöl
20 von 1.300 Hektar Gesamtfläche des Industrieparks Leuna belegt die Firma UPM aus Finnland. UPM ist ein traditionsreicher Papierhersteller – dieses Produkt hat das Unternehmen aber nicht nach Leuna gebracht, wohl aber das Wissen über Zellulose. „Wir investieren hier in eine Bioraffinerie, die weltweit einzigartig ist“, erzählt Dr. Michael Duetsch, Vice President von UPM Biochemicals. „Wir nehmen Biomasse, die nicht für Nahrungsmittel geeignet ist, in diesem Fall Holz, und überführen sie in chemische Grundstoffe. Dabei verwenden wir jede Komponente des Holzes. Neben der Zellulose kommt auch das Lignin zum Einsatz, der Klebstoff, der dem Holz seine Stabilität verleiht. Die Zellulose wird in Dextrose, also Traubenzucker, überführt. Mit Wasserstoff entsteht daraus Glykol, ein wichtiger Rohstoff für die chemische Industrie. Es handelt sich um eine der großen Basis-Chemikalien, die weltweite Nachfrage liegt bei über 35 Millionen Tonnen. Aus dem Lignin wiederum machen wir erneuerbare Füllstoffe für Gummi-Anwendungen wie Reifen, Dichtungen oder auch Schläuche im Auto, die aktuell zu einem großen Teil aus Industrieruß bestehen.“
1,2 Milliarden investiert UPM in die Bioraffinerie, die sich derzeit im Bau befindet – auf dem Platz, wo die DDR einst eine Erdölraffinerie sowie ein Braunkohlekraftwerk betrieben hat. Noch in diesem Jahr soll die „enzymatische Hydrolyse“ anlaufen.
Die Strahlkraft von Leuna zeigt Wirkung. Noch hat die InfraLeuna GmbH 35 Hektar Fläche zu vergeben an neue Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen. Aber das wird nicht reichen, ist sich Christof Günther sicher und hat das Erweiterungsprojekt „Leuna 3“ gestartet. Als „Leuna 1“ wird der 1916 gegründete historische Standort bezeichnet. „Leuna 2“ benennt die erste große Erweiterung Ende der 50er-Jahre. „Die nächste Erweiterung geht Richtung Westen, da geht es um eine zusätzliche Fläche von 300 Hektar“, erklärt der Geschäftsführer. „Das wäre das derzeit größte Chemie-Erweiterungsprojekt in Europa. Wir gehen davon aus, dass 2026 die ersten Chemieanlagen dort gebaut werden können.“ Der Schwerpunkt dieser Erweiterung: grüne Chemie.