Text Katrin Dietl — Fotos Manfred Vogel, IHK Ostbrandenburg — Video SnowFlame – stock.adobe.com
Im Doppelinterview sprechen sie über die Chancen und Herausforderungen für Unternehmerinnen und Unternehmer in Brandenburg und welche Erwartungen die Menschen vor Ort an die Politik haben. Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind sie sich einig: Es braucht jetzt eine klare politische Haltung!
Katrin Schulz ist als Werksleiterin eines betonverarbeitenden Betriebs seit über 30 Jahren in Brandenburg tätig und kennt die Herausforderungen dieser energieintensiven Branche.
„Tesla-Tempo wünsche ich mir auch für kleinere, lokale Projekte“
Katrin Schulz
Frau Schulz, Sie sind bei thomas betonbauteile Werksleiterin und pendeln zwischen den Standorten Fehrbellin und Hennickendorf. Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben und was gefällt Ihnen daran besonders?
Katrin Schulz: Ich verantworte die Produktion, Disposition und Planung sogenannter Filigrandecken. Das sind Halbfertigteile, die in Eigenheimen, im Industrie- oder Geschosswohnungsbau eingesetzt werden. Ich finde die Arbeit spannend, weil wir unser Portfolio ständig erweitern, neue Ideen entwickeln und mit spannenden Projekten zusammenarbeiten. Aktuell arbeiten wir etwa mit einer jungen Firma aus Fürstenwalde zusammen, die klimatisierte Module herstellt – also Heizungen oder Klimaanlagen, die wir direkt im Werk in unsere Decken integrieren.
Wie lange sind Sie schon in der Baubranche?
Katrin Schulz: Am Standort Hennickendorf bin ich seit über 30 Jahren. 2006 wurde das Betonwerk von der Fehrbelliner BWF-Gruppe übernommen, 2016 dann von der thomas gruppe – ein echter Glücksfall, weil wir als Teil einer europäischen Gruppe stärker aufgestellt sind und größere Projekte stemmen können.
Frau Dürsch, Sie sind Unternehmerin und Vizepräsidentin der IHK Ostbrandenburg. Was ist die wichtigste Aufgabe / größte Herausforderung für die IHK in der Region?
Birgit Dürsch: Mit ca. 42.000 Mitgliedsunternehmen zwischen Berlin und der Oder sind wir die größte Interessenvertretung der Region. Wir vertreten Branchen übergreifend und sind somit auch mit einem breiten Spektrum an Themen konfrontiert. Von Lieferketten, Energiesicherheit über Fach- und Arbeitskräftemangel bis hin zu Bürokratiethemen sind wir in vielen Bereichen engagiert.
Was macht Brandenburg besonders?
Katrin Schulz: Die Zusammenarbeit in unserem Team ist sehr kollegial, eigentlich familiär. Wir haben wenig Fluktuation: Wer ein Jahr bleibt, bleibt oft für immer. Der einfachste Weg, hier heimisch zu werden, läuft über die Vereine. Es ist schön zu sehen, wie sehr sich die Menschen hier gegenseitig unterstützen. Ich nehme gern Auszubildende, die in einem Verein aktiv sind, weil das meist Menschen sind, die Verantwortung übernehmen wollen. Ich glaube, dieser Zusammenhalt ist typisch für Brandenburg und den gesamten Osten Deutschlands.
Katrin Schulz
wurde 1965 im sächsischen Glauchau geboren, ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie dann in Brandenburg. Nach einer Ausbildung zur Fotosetzerin wechselte sie Anfang 1989 aus dem Verlagswesen in das Betonwerk Hennickendorf. Vom Bauwesen fasziniert schrieb sie sich an der Bauakademie Berlin für den berufsbegleitenden Frauensonderstudiengang Bauingenieur ein. Dieser wurde nach der Wende abgeschafft, sie blieb aber dem Betonwerk treu und arbeitete hier in unterschiedlichen Positionen. 2002 folgte ein Abendstudium der Diplombetriebs-wirtschaft, 2016 übernahm sie die Stelle der Werksleiterin im Deckenwerk in Hennickendorf und 2022 zusätzlich im Werk in Fehrbellin. Damit ist Katrin Schulz bislang die einzige weibliche Werksleitende in der thomas gruppe und an drei Standorten für über 100 Mitarbeitende verantwortlich.
Birgit Dürsch ist Präsidiumsmitglied und Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg. Beruflich kümmert sie sich mit ihrem Unternehmen PepComm GmbH um die Steuerung kommunaler Projekte wie Gewerbeflächenentwicklung.
„Politik vor Ort ist Sachpolitik, nirgendwo anders kann man so direkt und spürbar Wirkung entfalten“
Birgit Dürsch
Aufgrund der hohen Verfügbarkeit von regenerativer Energie wird sie immer interessanter für Unternehmen. Das wiederum führt zu mehr Stromleitungen, und die hat nicht jeder gern. Frau Dürsch, haben Sie eine Idee, wie wir mit dieser Herausforderung umgehen könnten?
Birgit Dürsch: Eingriffe in Kultur- und Landschaftsräume sind immer schwierig. Ich denke aber, es ist vermittelbar, dass die Ausbeute Erneuerbarer Energien aus Sonne und Wind regional und zeitlich ungleichmäßig ausfällt, Wirtschaft und Gesellschaft aber eine sichere Stromversorgung zu Recht erwarten. Grüner Strom aus der Steckdose muss irgendwo herkommen und auch gepuffert werden, das benötigt Investitionen in den Netzausbau. Es sollten jedoch die Bemühungen aller Akteurinnen und Akteure erkennbar sein, das Leitungsnetz nicht nur extensiv zu erweitern. Hierzu zählt auch der bundesweite Ausbau der Anlagen zur Gewinnung Erneuerbarer Energien. Ich halte viel von der Idee, dass dezentral erzeugter Grünstrom auch dezentral eingesetzt werden kann, ohne bürokratische und wirtschaftliche Hürden.
Frau Schulz, die Herstellung von Beton und Zement ist sehr energieintensiv. Welche Rolle spielt grüne Energie für Sie als Unternehmen?
Katrin Schulz: Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema Recyclingbeton und haben gerade einen Zertifizierungsprozess für nachhaltiges Wirtschaften in der Bauwirtschaft durchlaufen, wobei wir Goldstatus erreichen und damit die Nachhaltigkeit unserer Produktion nachweisen konnten. In Fehrbellin soll jetzt ein großer Photovoltaikpark entstehen. Da wollen wir uns gern anschließen. Und auch weiter kreative Wege gehen, zum Beispiel die Wärme nutzen, die bei der Zementproduktion in Rüdersdorf entsteht. Solche Synergien eröffnen neue Möglichkeiten.
Birgit Dürsch
wurde 1966 in Berlin-Kaulsdorf geboren und lebt seit ihrer Geburt, mit kleineren Unterbrechungen in Berlin und Freiburg, in Hoppegarten und jetzt in Neuenhagen bei Berlin. Nach einer Ausbildung mit Abitur zur Verkäuferin studierte sie an der Hochschule für Ökonomie Berlin Volkswirtschaft bis 1990. Als „Wendezeit-Absolventin“ musste sie sich wie viele ihrer Mitstudierenden neu orientieren und landete so als Kämmereileiterin in der Gemeindeverwaltung Hönow, nach Gemeindegebietsreform im Amt Hoppegarten. Ab 1997 arbeitete Dürsch als Geschäftsführerin für verschiedene kommunale Gesellschaften und gründete 2010 mit der PepComm GmbH ihr eigenes Unternehmen.
„ Es ist schön zu sehen, wie sehr sich die Menschen hier gegenseitig unterstützen. Ich glaube, dieser Zusammenhalt ist typisch für Brandenburg und den gesamten Osten Deutschlands“
Katrin Schulz
Apropos Politik: Im Herbst finden in drei ostdeutschen Bundesländern – Thüringen, Sachsen und Brandenburg – Landtagswahlen statt. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass extreme Parteien besonderen Zulauf erfahren. Warum ist das so?
Katrin Schulz: Auf kommunaler Ebene wählen Menschen Personen, die sie kennen. Und einige Kandidatinnen und Kandidaten haben sich jetzt für die AfD aufstellen lassen. Es gibt auch die Protestwählerinnen und -wähler, die sich von der aktuellen Regierung nicht mitgenommen fühlen. Und es liegt mitunter am öffentlichen Diskurs. Natürlich ist es Quatsch, dass Asylbewerberinnen und -bewerber sich kostenlos die Zähne machen lassen können. Trotzdem wurde das ernsthaft diskutiert und bleibt so auch in vielen Köpfen hängen. Wir brauchen hier in der Region junge Leute für die offenen Ausbildungsplätze und für die Gemeinschaft als Ganzes. Der DLRG in Brandenburg ist doch egal, woher ein neues Mitglied kommt. Hauptsache, es packt mit an.
Frau Dürsch, lassen Sie uns gedanklich ans Ende dieses wichtigen Wahljahres springen: Was wäre das Best-, was das Worst-Case- Szenario?
Birgit Dürsch: Also diesbezüglich bin ich persönlich durch und durch Demokratin. Im Sinne der IHK wünsche ich mir auf Landesebene kompetente, durchsetzungsstarke und verlässliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner mit Verstand für Wirtschaft und Unternehmen. Auf kommunaler Ebene – es werden ja auch Kommunalwahlen im Juni durchgeführt – freue ich mich über die vielen Bewerberinnen und Bewerber um das wichtige Ehrenamt beispielsweise einer Gemeindevertreterin oder eines Stadtverordneten. Allein in meiner Heimatgemeinde haben sich 102 Bewerberinnen und Bewerber aufgestellt, das ist prima. Politik vor Ort ist Sachpolitik, nirgendwo anders kann man so direkt und spürbar Wirkung entfalten.
Frau Schulz, in Brandenburg gab es 2023 ein Wirtschaftswachstum von gut zwei Prozent, während das Bruttoinlandsprodukt fast überall im Rest der Republik zurückging. Woher kommt der wahrnehmbare Pessimismus?
Katrin Schulz: Das hat sicher mit der Erfahrung zu tun, die Menschen in Ostdeutschland nach der Wende gemacht haben. Aber auch die jungen Leute machen sich Sorgen. Sie erleben zum ersten Mal nach einem Megawachstum, dass es nicht mehr so steil nach oben geht. Auch unsere Produktion ist zurückgegangen, weil die Bauwirtschaft lahmt. Trotzdem haben wir immer noch ein gutes Ergebnis. Meine Aufgabe als Werksleiterin ist es deshalb, Sicherheit zu vermitteln und Lösungen anzubieten. Wenn wir weniger Aufträge haben, gibt es eben nicht zwei, sondern versetzte Schichten. Wir bieten Werksführungen an und finden so neue Auszubildende. Und wir entwickeln immer wieder neue Produkte. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einem spannenden Projekt, bei dem wir unsere Betondecken mit Holz kombinieren, sogenannte Hybriddecken. Und wir können Verdrängungskörper einsetzen, um so Beton zu sparen. Das ist in jedem Fall ein Zukunftsprojekt, das ich weiter voranbringen möchte.
Wie kann die Politik ostdeutsche Unternehmen in Zukunft besser unterstützen?
Katrin Schulz: Ich wünsche mir weniger Bürokratie und mehr Pragmatismus: Braucht man wirklich jeden Antrag oder geht es auch unkomplizierter? Das Beispiel von Tesla zeigt, dass Tempo möglich ist, wenn man ein Projekt umsetzen will. Genau so ein „Tesla-Tempo“ wünsche ich mir auch für kleinere, lokale Projekte. Was noch wichtig ist: Menschen wollen wertgeschätzt werden. Sei es im Handwerk, der Bauindustrie oder in den Vereinen, die wichtige soziale Arbeit leisten. Diese Wertschätzung muss auch durch Politik passieren.
Frau Dürsch, was kann Politik tun, damit sich die Menschen in der Region wertgeschätzt und mitgenommen fühlen?
Birgit Dürsch: Eine sehr geschätzte Mitarbeiterin von mir sagt immer: Man muss zu den Menschen in die Region gehen und sie und ihre Probleme ernst nehmen. Wenn ein Bundesverkehrsminister mit einem Fahrverbot am Wochenende droht, mag er das aus taktischen Gründen gesagt haben, aber im ländlichen Raum, wo der Weg zum Einkaufen schon mal 25 Kilometer hin und zurück betragen kann, landet das mit Sicherheit im falschen Hals. Wenn Menschen sich engagieren, im Ehrenamt, im Sportverein oder durch gelebte Nachbarschaftshilfe, muss das wahrgenommen und gewürdigt werden. Und wenn Menschen aus Ungewissheit und daraus resultierender Angst verstört reagieren, muss die Politik darauf eingehen und Gewissheit schaffen.
Jetzt haben wir viel gehört über Verunsicherung, aber auch großes Engagement und Zusammenhalt. Was macht den Osten für Sie ganz persönlich großartig?
Katrin Schulz: Zum einen ist Brandenburg wirklich schön und bietet eine extrem hohe Lebensqualität. Wenn man etwas erleben will, liegt Berlin vor der Tür. Gleichzeitig ist man in einer halben Stunde im Oderbruch in der schönsten Natur. Beruflich ist das enge Netzwerk hier großartig: Man kennt die regionalen Bauunternehmerinnen und Bauunternehmer, man ist mit denen verbunden und hilft sich gegenseitig. Für mich ist diese Region Heimat.
Birgit Dürsch: Ist für mich Heimat. Zwischen Oderbruch, Märkischer Schweiz und Schlaubetal radeln zu können und am Abend in der Staatsoper oder im Theater in Berlin zu sein – wo hat man das schon? Ich komme viel rum im gesamten Bundesgebiet und freue mich immer, wenn ich am „Akzent“ als Brandenburgerin erkannt werde. Das ist wie ein Prädikat. Vielen Dank für das Gespräch.