Text Dominik Drutschmann Fotos Jan Pauls Video Video Reportage, Jan Pauls, ©iStockphoto.com/Adam Webb

Das Umspannwerk von 50Hertz in Bad Lauchstädt entwickelt sich zu einer der wichtigsten Drehscheiben für den Transport von Erneuerba- ren Energien. Dafür braucht es Veränderungen auf allen Ebenen. Mittendrin: Uwe Herrmann, Leiter des Regionalzentrums Süd.

Uwe Herrmann, Leiter des Regionalzentrums Süd, in seinem provisorischem Büro am Standort in Bad Lauchstädt

„Ich habe mich nie gegen Veränderungen gewehrt“

Die neue Welt beginnt im Gebäudeteil D. Den Weg von Alt nach Neu gibt Uwe Herrmann vor. Hermann – 62 Jahre, kurze graue Haare, gepflegter Sechstagebart – geht vorbei an Bauarbeitern, an seinem alten Büro mit dem Riss in der Wand, über das neue Treppenhaus, das den alten Gebäudetrakt mit dem neuen ver- bindet. Im Treppenhaus hallt es. Da muss noch etwas gemacht werden. Die Projektleiterin hatte die Idee für eine Kooperation mit der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, keine 20 Kilometer vom Standort in Bad Lauchstädt im südlichen Sachsen-Anhalt entfernt. Sie könnten sich etwas ausdenken, einen Designwettbewerb machen. Gute Idee, fand Herrmann. „So etwas habe ich auch noch nie gemacht“, sagt er und geht weiter in den Neubau.

Bürostühle warten darauf, ausgepackt zu werden – ein Geruch wie im Möbelhaus, alles glänzt, so schön neu. Sieben Arbeitsplätze, luftig, hell, in der Mitte ein Besprechungstisch. Dort stehen Tino Springer und sein Team. Sie sind für Gleichstrom- Kabeltechnik zuständig und damit für den SuedOstLink, die Höchstspannungs-Übertragungsleitung zwischen Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt und Isar bei Landshut in Bayern. Die Vor- bereitungen für dieses Megaprojekt der Energiewende haben bereits begonnen. Donnerstag ist Besprechungstag. So auch an diesem Tag Mitte April 2024.

Tino Springer über Uwe Herrmann

„Er hat die Arbeitsweise durch den Umbau des Standorts verändert“

Aber Tino Springer soll kurz rauskommen und etwas darüber erzählen, wie Uwe Herrmann so als Chef ist. Das mag Herrmann selbst nicht – über sich erzählen, im Mittelpunkt stehen. Das soll lieber der Kollege machen. Und hören will es Herrmann auch nicht. Viel zu peinlich, unangenehm. Ist ja fast, wie bei der eigenen Beerdigung dabei zu sein. Dann lieber noch eine rauchen. Oder paar Mails beantworten. Zu tun gibt’s immer genug. Tino Springer schaut kurz in die Gesichter rund um den Tisch, dann auf die Videokacheln mit den zugeschalteten Kolleginnen und Kollegen. Kurzes Nicken, alles klar. Dass mit einem Chef wie Uwe Herrmann unvorhergesehene Dinge passieren, daran hat sich Tino Springer mittlerweile gewöhnt. Mehr noch: Er weiß es zu schätzen.

Tino Springer, 46 Jahre alt, Typ fester Händedruck, ist seit 1998 im Unternehmen, seit 2008 im Regionalzentrum Süd am Stand- ort in Bad Lauchstädt. Vieles hat sich seither verändert, an internen Strukturen, aber auch im Gebäude. Im Büro hängt über die gesamte Breite der Stirnseite ein Land- schaftsbild. Es zeigt die Unstrut, einen Nebenfluss der Saale, im Sonnenuntergang. Davor Felder, ein kleines Waldstück. Tino Springer arbeitet drei Tage im Büro, zwei draußen.

Uwe Herrmann hat durch die Transformation des Arbeitsplatzes in Bad Lauchstädt mehr geschaffen als nur die Veränderungen des Äußeren. „Er hat die Arbeitsweise der Leute durch den Um- bau des Standorts verändert“, sagt Springer. Früher hätten die Büros Behördencharme versprüht. Enge Flure, nackte Wände, Linoleum. Platz ist in den alten Büros für zwei Schreibtische. Käfighaltung, nennt Uwe Herrmann das, und fragt sich, wie jemand in solch beengten Räumen kreative Ideen entwickeln soll. Die Antwort liefert er selbst: gar nicht!

Die Energiewende braucht frische Ideen aus frischen Köpfen

Kreative Ideen aber braucht es – für die Energiewende im Allgemeinen und für den Standort in Bad Lauchstädt im Speziellen. Das Umspannwerk Lauchstädt ist unter anderem Ausgangspunkt für die Südwestkuppelleitung, auf der Strom Richtung Süden transportiert wird, die sogenannte „Thüringer Strombrücke“. Über den Knotenpunkt Lauchstädt wird künftig immer mehr Strom aus Erneuerbaren Energien aus den darunterliegenden Netzebenen aufgenommen, auf Höchstspannung transformiert und anschließend zu den großen Verbrauchszentren transportiert. Das mag einfach klingen, ist es aber nicht. Denn die Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren ist wechselhaft, ändert sich täglich, stündlich, manchmal in noch kürzeren Intervallen. Damit die Spannung nicht zusammenbricht, sind neue Anlagen erforderlich. Und es braucht neue, innovative Ansätze.

Und dafür braucht es frische Ideen aus frischen Köpfen. Tino Springer hat den Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen, dem Arbeitsambiente und der -kultur, durch Uwe Herrmann verstanden. Springer bekommt es aus erster Hand mit, wenn junge Menschen zu Bewerbungsgesprächen nach Bad Lauchstädt kommen. Dann merkt er durch ihre Reaktion, wie sehr sich der Standort in den vergangenen Jahren verändert hat. Manchmal braucht es einen Außenspiegel für das eigene Selbstbild.

Springer hat, seitdem Uwe Herrmann Leiter des Regionalzentrums ist, viele Bewerbungsgespräche geführt. 50Hertz wächst. Gleichzeitig herrscht Fachkräftemangel. Viele Unternehmen versuchen daher, sich diverser aufzustellen. Für Tino Springer greift das zu kurz. „Dass nur aufgrund eines Mangels auf diverse Teams gesetzt wird, ist Quatsch“, sagt er. Im Gegenteil, alle Arten der Diversität seien in Teams wertvoll: Alters-, Geschlechter- und kulturelle Diversität. Springer erinnert sich an seine privaten Reisen nach Asien, an die Verdrahtung der Städte in Thailand oder Vietnam. An die Hands-on-Mentalität. Von solchen Perspektiven könne auch 50Hertz profitieren. Und darum bemühen sie sich auch in Bad Lauchstädt.

Einer davon ist Oliver Fabri, 28 Jahre alt, als Projektkoordinator seit 2021 im Unternehmen. Ein genauer Typ, das Hemd zugeknöpft, die Ärmel hochgekrempelt. Er ist einer der jungen Leute, die Lösungen für die Herausforderungen der Energiewende finden wollen.

Projektkoordinator Oliver Fabri reist für Qualitätskontrollen durch Europa

Schmierstofflieferanten für den Stromtransport

Denn: Künftig werden immer weniger Kraftwerke, die Strom aus den fossilen Brennstoffen Gas und Kohle gewinnen, ins System einspeisen. Der Vorteil dieser Kraftwerke liegt bisher darin, dass sie das elektrische Gesamtsystem über die Schwungmasse der großen Generatoren automatisch stabilisieren. Über die Bereitstellung von sogenannter Blindleistung halten sie automatisch auch die Spannung in den Normbereichen. Fallen diese großen Generatoren mehr und mehr weg, braucht es Ersatz.

Ein solcher Ersatz sind Blindleistungskompensationsanlagen, die, laienhaft ausgedrückt, als Schmierstofflieferanten für einen reibungslosen und sicheren Stromtransport sorgen. Im Falle des Standorts in Bad Lauchstädt sind insgesamt vier neue Blindleistungskompensationsanlagen geplant, darunter zwei STATCOM- Anlagen, die Blindleistung dynamisch und damit an den jeweiligen Bedarf angepasst liefern. „So eine Anlage“, sagt Fabri, „ist im Grunde ein Umspannwerk im Umspannwerk.“

Gefertigt und montiert werden die Anlagen vom amerikanischen Anbieter General Electric (GE). Die erste soll im Juli 2025 fertig sein, die zweite Anfang 2027. Auf der Baustelle, unweit des Bürogebäudes in Lauchstädt, braucht man noch Fantasie, sich das vorzustellen. Aktuell sieht man vor allem Betonarbeiten; Kabelschächte werden gesetzt, Erdungsseile gelegt. Zumindest der Trafo steht schon auf dem Fundament. Fabri aber sieht die fertigen Anlagen schon vor seinem geistigen Auge. Die Schutzausrüstung, in der er über die Baustelle geht, wirkt etwas groß für ihn. Seinen Job aber füllt er aus.

Fabri hat schon die weltweite Ausschreibung der STATCOMAnlagen begleitet. Und er ist für die Qualitätsprüfung des Herzstücks der Anlage verantwortlich: den sogenannten VSC (Voltage Source Converter, deutsch: Leistungselektronik-Umrichter). Er wird in Stafford gefertigt, einer englischen Stadt im Norden der Region West Midlands. Zwei Tage war Fabri vor Ort, war mit dabei, als an sechs von später insgesamt 516 verbauten VSCs Tests durchgeführt wurden. Es sind immer konzentrierte Besuche. Doch abends beim Essen geht es auch um andere Themen, Elektromobilität etwa und wie die Verkehrswende gelingen könnte. So kommt man von den verhältnismäßig kleinen Bauteilen einer STATCOM-Anlage zu den ganz großen Fragen der Energiewende. Es sind Themen, die die Welt bewegen – die nicht an Landesgrenzen haltmachen.

Sven
Brachmann

Schmierstofflieferanten für den Stromtransport

Über 1.000 Kilometer Luftlinie südlich von Stafford, in Bilbao, prüft Sven Brachmann, 41 Jahre, für 50Hertz die Leittechnik- Komponenten der STATCOM-Anlage. Zuletzt im Februar 2024 für eine ganze Woche. Jeden Tag zehn Stunden mit den GEKolleginnen und -Kollegen vor Ort, um die Schalttechnik zu prüfen. Genug Zeit, um Änderungswünsche anzubringen. Und nach getaner Arbeit Raum, um sich kennenzulernen, die Kultur des anderen zu erleben. In Bilbao bedeutet das am letzten Donnerstag im Februar vor allem eins: Fußball. Im Baskenland ist Fußball wichtig, vielleicht sogar wichtiger als in Barcelona oder Madrid. An diesem Abend spielt Athletic Bilbao. Brachmanns spanischer Gastgeber von GE hat eine Dauerkarte. Brachmann, ebenfalls Fußballfan, kommt zwar nicht mehr an eine Karte, folgt aber der Kneipenempfehlung des baskischen Kollegen. Halbfinale Copa Del Rey gegen Atlético Madrid. Die Kneipe zum Bersten gefüllt, herrliches Chaos. „Das war so voll, so laut, so leidenschaftlich – auch wenn ich nicht viel verstanden habe, war es ein grandioser Abend“, sagt Brachmann heute. Im kommenden Jahr werden die Kolleginnen und Kollegen aus Bilbao nach Bad Lauchstädt kommen. Klingt nach Schüleraustausch und Völkerverständigung. Brachmann lacht. Wer weiß, vielleicht gehen sie dann zu einem Spiel seiner Lieblingsmannschaft RB Leipzig. Brachmann kennt Bad Lauchstädt noch aus Zeiten behördencharmanter Käfighaltung, seit 2006 ist er dort.

Deutlich kürzer ist Oliver Fabri dabei. Und war für die Qualitätsprüfung einzelner STATCOM-Teile neben der GE-Niederlassung in Großbritannien schon in Finnland, Österreich und Tschechien. Dass er in seinem ersten Job direkt viel Verantwortung übernimmt, liegt an Uwe Herrmann – und dessen Philosophie, die weit über einen offenen und freundlichen Arbeitsplatz hinausreicht.

„Ich belle keine Befehle“, sagt Herrmann. „Ich gebe den Leuten zu ihren Aufgaben vor allem Verantwortung mit.“ Und an Verantwortung – Kalenderspruch hin oder her – wachsen Menschen. Ein Ansatz, den Oliver Fabri schätzt. „Uwe ist jemand, zu dem die Leute aufschauen, ohne dass er auf sie herabblicken würde“, sagt er.

Wenn man Uwe Herrmann damit konfrontiert, wie seine Mitarbeitenden über ihn als Chef reden, windet er sich, winkt ab, „komm, hör auf“, will er nicht wissen. Lob anzunehmen, gehört nicht zu seinen Stärken. Wie zur Erlösung klingelt das Telefon. Aus dem Handy plärrt der Song „Blah Blah Blah“ von Armin van Buuren. Er fragt, ob es okay sei, ans Telefon zu gehen.

Es ist eine der Sachen, die sie an ihm schätzen. Dass er die Dinge, die er von anderen verlangt, vorlebt. So wie das Thema Veränderung. Die Sache mit dem Telefon hat Herrmann bei einem Coaching herausgefunden. Dort durfte jeder Mitarbeitende sagen, was an den anderen nervt. Bei Uwe Herrmann waren sich alle einig: Immer, wenn das Telefon klingelte, sei er reflexartig rangegangen – unabhängig davon, ob er womöglich gerade in einem für die andere Person wichtigen Gespräch war. „Jetzt frage ich immer erst, ob es okay ist“, sagt er. Und er hat sich verschiedene Klingeltöne eingerichtet. Wenn die Arbeit anruft, ertönt eine Sirene, bei seinem Sohn etwas Entspanntes. Musik als Kommunikationsmittel – so wissen alle um ihn herum, wer ihn anruft. Und ob es womöglich wichtig sein könnte.

„Ich habe mich nie gegen Veränderungen gewehrt“, sagt Herrmann. „Stattdessen habe ich versucht, die entstehende Energie als Anschub zu nutzen.“ Und Veränderungen gab es in seinem Leben viele. Seine beruflichen Stationen lesen sich wie die Netzkarte des 50Hertz-Übertragungsgebiets. Er war schon in Röhrsdorf, Lübbenau und Berlin. Seit 2019 ist er zurück in Bad Lauchstädt, wo er vor 46 Jahren seine Karriere begann. Es wird – das zeichnet sich ab – seine letzte Station sein. Dort will er miterleben, wie die Sanierung und der Neubau fertiggestellt werden. Will sehen, wie die alte und die neue Welt ineinanderwachsen. Und natürlich die STATCOM-Anlagen 2025 und 2027. Er sei immer gern neue Wege gegangen, die im besten Falle noch niemand vor ihm gegangen sei, sagt er. Denn: Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren. Uwe Herrmann hat das Kunststück vollbracht, deutliche Spuren zu hinterlassen und den Standort gleichzeitig auf die Zukunft vorzubereiten.

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